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Carl Hauptmann



 

Carl Hauptmann :: Критика

Творчість | Біографія | Критика

Viel Kraft und Zeit verwendet Carl Hauptmann im Bemühen, eine Aufführung von „Marianne” zu erreichen. Er verhandelt in Berlin, schreibt nach Wien und erbittet ein Urteil des großen d­änischen Wegbereiters realistischer Kunst Georg Brandes. – Eine Aufführung kommt nicht zustande, und Brandes' Brief enttäuscht Hauptmann tief: „Der Grundfehler des Stückes ist für mich, dass die Diction allzu deutsch ist. Alle geben sich al­lzu sentimentalisch in ihren Gefühlen.” – Der Versuch, mit dieser Kritik fertigzuwerden, gipfelt in Hauptmanns Ausbruch: „Red mir nicht von Gefühlen, red mir lieber von Gansvierteln.” Das Schauspiel „Waldleute” ent­steht von Sommer 1894 bis Frühjahr 1895. – Im September 1895 gibt Hauptmann das Man­uskript (der Dialektfassung) an den Cotta-Verlag, gleichzeitig druckt der Theaterverlag Entsch als Bühnenmanuskript eine Fa­ssung, die der Hochsprache an­genähert ist. – Am 31.10.1895 ist die Uraufführung der „Waldleute” am Raimund-Theater in Wien. – Die Theatererfahrungen sind entmutigend, und die Rezensio­nen spre­chen von „Untüchtigkeit” und „künstlerischem Epigonentum”. Dennoch be­ginnt Hauptmann den Einakter „Der Wildschütz”. Die sechste Reservistenübung (August/September 1895) e­ndet mit einem vier­wöchigen Manöver im Erzgebirge. Diese für Hauptmann strapaziöse Zeit ist den­noch für ihn anregend: In der geringen Freizeit liest er Jacobsons „Frau Marie Grubbe” und Dramen von Grabbe. Er schreibt spontan eine Skizze, „Dorfliebe”, notiert mundartliche Redewendungen und erlebt Nächte, wie er eine 1912 in der miniature „Auf Feldwache” beschreibt. Das Tagebuch (November/Dezember 1895, Dresden) enthält die Erstnieder­schrift zweier Skizzen, deren Stoffe Hauptmanns Erinnerungen an Menschen und Schicksale in Salzbrunn entsta­mmen: „Frau Radeck”* (ursprünglicher Titel: „Wie eine Blume auf dem Felde”) und „Frau Hantke”– Am 5.11.1895 legt er eine Manuskriptmappe an für „Männercharaktere. Skizzen”, hierin Fragmente und Notizen zu „Fahrendes Volk”, „Vater Haekel”*, „Haß” und „Erlöser Tod”. Wenige Tage später hält Hauptmann Ideen zu einer weiteren Sammlung fest: „Frauenköpfe”. Die Notiz nennt Titel möglicher Ge­schich­ten, auch die Namen von Menschen aus seiner Bekann­tschaft und den Satz: „Jedes geschilderte Leben muss im Scheine einer grossen Illusion verlaufen – eine grosse Passion da­rstellen. Hoffen – Hoffen – Glauben – Liebe.” In Gedanken ordnet Hauptmann Ende 1895 die Stoffe zu e­inem Zyklus, den er „Skizzenbuch aus der Heimath” nennen will. – Er liest in diesen Wochen Erzäh­lungen von Dostojewski und Tolstois Roman „Anna Karenina”. Hauptarbeit der Jahre 1894/1895 ist aber die Weiterfü­hrung des Werkes, das eine gesicherte bürgerliche Existenz e­rmöglichen soll. Im September 1895 (wäh­rend der Manöverwochen) wendet er sich an Avenarius wegen der beabsichtigten Habilitation: Der 2. Band der „Beiträge ...”, „Grundbegriffe einer Theorie der Lebewesen”*, liege im Manuskript fast fertig vor. Doch die abschließende Arbeit, die sich immer mehr ins Hist­orische und Soziologische verlagert, verlangt noch eine A­rbeitsperiode an einer Universität. Vom 26.2. bis zum 6.5.1896 übersiedeln Hauptmanns dann in eine Pension in Jena. In diesen zehn Wochen schreibt Hauptmann Tagebuch, tä­glich und minutiös. Er hält Erlebnisse und Begegnungen fest, Gespräche und wissenschaftliche wie künst­lerische Auseinande­rsetzungen, Urteile und Pläne. Er besucht Vorlesungen, arbeitet in der Bibliothek und pflegt Beziehungen mit den ihm näher bekannten Professoren. Wissenschaftliche wie philosophische Fragen erörtert er vor allem mit dem Philosophen Rudolf Eucken, dem Botaniker Ernst Stahl und dem Physiologen Max Verworn. Er beklagt am 29.2. die Unsicher­heit der Naturwissenschaftler im Theoretischen und die fehlende Bereitschaft zu Spekulation und Folgerung: „Jeder Denker meidet über Principienfragen das Ge­spräch”, und ent­täuscht stellt er am 28.3. fest: „Semon hat mein Buch nicht ge­lesen. Verworn hat es benutzt – aber nicht genannt. Hertwig desgleichen ja für wen schreibt man das Zeug? Da lob ich mir die Kunst! Das greift ins Menschen­wesen ganz hinein. Das wendet sich an den Menschen schlechthin. Zum Menschen spricht man, den Menschen rührt man, dem lebend­igen, ursprünglichen Leben reicht man lebendiges Geisteserei­gniss.” So grübelt er neben der wissenschaftlichen Arbeit über Fragen der Literatur. Die Theorie des Dramas beschäftigt ihn ebenso wie die Funktion der Kunst in der bürgerlichen Gesel­lschaft. Wichtig sind ihm die Gespräche im Hause des Histor­ikers Alexander Brückner über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte. Seine Lektüre umfaßt Werke über Shakespeare und Biographien von Sonja Kowa­lewski, Ralph Waldo Emerson und Savonarola, daneben Lou Andreas-Salomés Erzählung „Ruth”. In den befreundeten Kreisen liest Hauptmann „Marianne” und „Waldleute”, „Der erste Abschied” und „Kahnfahrt” vor. Als ihn der alte Schuster Carl Bi­schof besucht, ein eigenwi­lliger Freigeist, den Hauptmann aus der Studentenzeit kennt, da notiert er am 15.3. dessen Erzählungen als Novellenproblem. Auslösendes Moment zu neuer, neuartiger künstlerischer Arbeit wird ihm dann aber die Begegnung mit zwei amerikan­ischen Musikschülerinnen in der Pension. Aus beobachtender Teilnahme wird bald ein verklärendes Verhältnis zu der 18-jä­hrigen Alice Webber. Als ihn seine Frau zur Rede stellt, an­twortet er: „Nicht Objekt ist mir die blondlockige Alice – ein Stück meines Wesens ist sie geworden. Wochen später heißt es im Tagebuch: „ ... der Gedanke an ihre Verklärung im Kunst­werk allein ist mir Trost.” – Und noch eine Frau tritt in diesen Wochen in das Leben der Familie Hauptmann: Im Hause Brückner lernen sie am 26.3. die 35-jährige Anna Teichmüller kennen. Nach Jena folgen ruhelose, unstete Wochen: Ein kurzer Aufenthalt in Dresden bringt Hauptmanns mit vielen bildenden Künstlern zusammen. Dann fährt Carl allein nach Schreiberhau, vor Pfingsten bereits flieht er zunächst nach Berlin. Eine Kunstausstellung mit Werken von Ludwig von Hofmann, Bruno Liljefors und Karl Mediz, die er täglich besucht, berührt ihn tief. Die Stadt aber ekelt ihn an, und er ver­spricht Martha: „Wie will ich aber nun arbeiten, wenn ich erst den Culturstaub von den Pantoffeln geschüttelt.” Im Juni 1896 fährt Hauptmann von Berlin aus nach Graal an der Ostsee. Im Ta­gebuch der Grund: „Ich habe einen Widerwillen in gewohnheitliche Umgebun­gen zurückzukehren; das macht, ich will meinen Menschen von gestern und ehegestern nicht weiter pflegen und üben. Er hat mir keine Frucht getragen.” Er liest er­neut und zergrübelt Turgenjews Erzählung „Mein Nachbar Rad­ilow” und schreibt die lebensfrohe Skizze „Waldbruder! Mensch!” Am 14.6. dann an Martha den festen Vorsatz: „Etwas Tücht­iges, Kühnes, Eigenes – oder nichts”, am 20.6. dann das Ab­schütteln des Bisherigen: „Etwas Banales, das darfs nicht mehr werden, es muss Wucht, Kraft und Schönheit haben, und Nothwe­ndigkeit und Wahrheit oben­drein.” Ein Notizblatt jenes Sommers 1896 enthält den Plan eines Erzählzyklus' „To­ten­tänze”. Hierin will Hauptmann vom L­eben und Sterben ihm bekannter Menschen berichten, über Frida Thienemann und Georg Ashelm, den einstigen Breslauer Mit­sch­üler Dominick und den Schwiegervater Bertold Thienemann, auch über Schrei­berhauer Häusler und den Schuhmacher Bischof. Dieses Notizblatt gibt zu jedem Namen eine Kennzeichnung in fast formelhaf­ter Form: „Leben und Tod ein Traum” (Frida Thienemann), „Leben und Tod ein Grauen” (Pläschke), „Leben Last und Tod Freund” (Haekel), „Leben kindlicher Liebesdienst / Tod eine Art eigener Verklärung” (Ida Radeck) etc., dazu die Notiz: „Der Lebensinhalt muss immer und giebt hier immer einen tiefen Grund, auf dem sich die Art des Todes und das Denken ­über den Tod abhebt.” „Das Denken über den Tod ...” Auch die Notizen in Form von Formeln: Hier beweist sich Hauptmann noch als Denker. Im Juli 1896 schreibt Hauptmann zwei der Geschichten, die er bereits in „Män­nercharaktere” in Dresden entworfen und b­egonnen hatte, erneut. Das Tagebuch enthält volkskundliche N­otizen sowie charakteristische Ausdrücke und Redewen­dungen der bäuerlichen Bevölkerung. „Erlöser Tod” ist die Geschichte vom einsamen Sterben des Armenhäuslers Blochmann. Das Motiv des Ausgestoßenseins, der Austreibung, klingt hier erst­mals an. Eine der Textfassungen heißt „Es möchte kein Hund so länger leben”, die Gedankenfo­rmel Hauptmanns: „Leben grabendste Entbehrung – Tod Erlösung”. Im Juli 1896 schreibt Hauptmann auch „Fahrendes Volk” e­rneut. Drei der Ar­beitshandschriften beinhalten nur den Santa­-Rocca-Teil, zwei nur die Zigeuner­begegnung. – Aus dem Tagebuch erhellt, daß Carl Hauptmann im Juli 1896 über diese Geschichte das Gespräch mit dem Bruder Gerhart suchte. Das ist der Erlebnishintergrund zu „Fahrendes Volk”: Auf einer Fahrradtour von Berlin aus durch Brandenburg und Mec­klenburg am 21./22.6.1895 trifft Haupt­mann auf einen Landstre­icher, der sich Graf di Santa Rocca nennt und mit dem er ins Gespräch kommt. Hauptmann ist so fasziniert, daß er dessen Antworten und das Lied in seinem Schreibblock notiert und sie vollständig und nahezu wört­lich in den Text der Skizze übernimmt. Ein frühes Titelblatt von Hauptmanns Hand lautet: „Ein Landstreicher. / 'Der wahre Bettler ist doch einzig und allein der wahre König.' G. E. Lessing. Nathan d. W. / Skizze von Carl Hauptmann”. Ein anderes Blatt enthält die formelhafte Cha­rakterisierung: „Graf di Santa Rocca, der Culturflüchtige, Menschen hassende – Welt und Gott liebende Mensch”. Eine Rei­nschrift des Textes trägt das Motto: „Weiten Wegs muss ich noch zieh'n, / Bis dass ich erreich mein Grab, / Ohne dass ich Stiefeln hab. (Zigeunerwort)”. Anfang August bietet Hauptmann „Fahrendes Volk” Cäsar Flaischlen zur Ver­öffentlichung in „PAN” an. Als der aber ei­nschneidende Änderungen wünscht, or­dert Hauptmann am 9.9. das Manuskript zurück: „Gerade in der lockeren Einung, die durch Sommertag und 'fahrendes Volk' darin geschaffen ist, erblicke ich den wesentlichsten Reiz der Arbeit, um die ich sie nicht bringen möchte.” Am 20.8.1896 schickt er „Erlöser Tod” an Samuel Fischer zum Abdruck in „Deutsche Rundschau”. Doch Fischer lehnt ab, bietet aber an, das ganze „Skizzen­buch” zu übernehmen. Haup­tmanns Absage: „Vielleicht ist es in meinem ethischen Interesse gelegen, dass ich nirgends Gerharts Wege gehe.” Am 30.9. 1896 sen­det er „Erlöser Tod” zum Preisausschreiben des „Simplizissimus” um die „beste No­velle, in der die sexuelle Liebe keine Rolle spielt”, ein. Hauptmann ist nicht unter den Prei­strägern. Im August 1896 entsteht „Der Freigeist in den Bergen”, im September „Liebe”, also ein Stoff aus dem „Totentanz”-Plan. „Der Freigeist in den Bergen” (verworfener Titel: „Co­lporteur Hertel”) hat ge­lebt, Hauptmann hat ihn gekannt. Not­izen und verworfene Textpassagen im Manu­skript sind voller D­etails in der Wiedergabe der persönlichen Vorgeschichte des Mannes, in der Ausmalung von Szenen, in der Beschreibung des häuslichen Mi­lieus. Und das Tagebuch (Dezember 1897) ve­rzeichnet, daß Hauptmann dem Häusler und Colporteur Hertel die Geschichte vorliest. Über den Hintergrund von „Liebe” ist nichts bekannt. Es ist nur eine Vermu­tung, daß das Gut Illnisch bei Breslau als Schauplatz dargestellt sein könnte und daß Hauptmann als Gy­mnasiast das elterliche Gut seines Klassenkameraden Alf­red Ru­precht besucht habe. Die zarte Liebesgeschichte mit dem durchgehenden Motiv des Volkslieds könnte aber inspiriert sein durch Paula Cohn. Nicht nur ihre herrliche Stimme bezauberte den Mann und Dichter. Carl Hauptmann hatte sie, die Tochter des Berliner Ve­rlagsbuchhändlers Albert Cohn, zu Pfingsten 1895 in Schreiberhau kennengelernt. Sie wohnte nicht weit entfernt „zur Pen­sion” und wurde in den folgenden Wochen in den „trauten Kreis” um Hauptmanns aufg­enommen. Die Malerin Sabine Reicke ist von ihrer Schönheit so gefesselt, daß sie sie mehrfach porträtiert. – Als Paula Cohn im September 1896 erneut kommt, wird sie täglicher „Logirgast” bei Hauptmanns. – Carl Hauptmann notiert im Tagebuch: „Frl. Paula hat durch ihr anschmiegsames und liebevolles Wesen zu mir und durch ihre Anlehnung an mich den höchsten Unwillen er­regt.” Martha Hauptmann in „Mein Lebensfaden”: „Bisher hatte alle lei­denschaftlichen Gefühle, die er an andere ve­rschenkte, nicht vor mir verborgen.” Jetzt aber wurde er „der hinter­häl­tige Ehemann, wo er vorher mein Freund ge­wesen war.” – Paula Cohn ist die „Liederbraut”, die durch die ansonsten magere Carl-Hauptmann-Literatur geistert. Nach Paulas Abreise Ende September verläßt Martha Haup­tmann für einige Zeit Carl. In diesen Wochen entsteht „Träume”, die Geschichte, in der Alice Webber und die Frühlingstage in Jena ihre Verklärung erfahren. Aus den Manuskripten zu schließen, bereitete diese Erzählung dem Autor be­son­dere Schwierigkeiten. Die Zahl der verwo­rfenen Texte und Varianten ist groß. Und was dem Achtunddre­ißigjährigen besondere Schwierigkeiten macht, das ist in jenem Herbst das dichterische Erfassen der eigenen „Frühlingssti­mmung” in der Gestalt des sterbenden Wissenschaftlers. Ihm legt er Texte unter, die sich wörtlich im „Jenaer Tagebuch” finden, so das durch den Amselgesang ausgelöste, schier lebensbedr­ohende Sehnen. Denkwürdig aber ist, daß er eigenes, im Tagebuch fest­gehaltenes Erleben dem Mädchen Ray zuordnet, den Spazie­rgang an der Lomme und auch das genierliche Fußbad. „Träume” ist die letzte der fertiggeschriebenen, druc­kreifen Erzählungen vom Herbst 1896.



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