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Georg Herwegh :: Критика
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Критика
Herwegh ahmt in seinem „Wiegenlied“ (1843) Goethes „Nachtgesang“ (1804) in der Form nach, um die politische Untätigkeit seiner Zeitgenossen zu kritisieren. Unmittelbare Quelle ist vermutlich Hoffmann von Fallersleben: "Schlafe! was willst du mehr?" von 1840.
Der „Nachtgesang“ ist Liebesklage und Liebeswerben eines enttäuschten Liebhabers; es ist also eine private Erfahrung darin formuliert, die jeder kennt. Die Form des Gedichtes ist hauptsächlich durch drei Elemente bestimmt: die am Ende jeder Strophe formulierte vorwurfsvolle Forderung „Schlafe, was willst du mehr?“; die Aufnahme des jeweils dritten Verses als Anfangsvers der nächsten Strophe; die dreihebigen Verse, die im Kreuzreim zu viert eine Strophe ausmachen.
Herwegh übernimmt das erste und das dritte dieser Merkmale und stellt außerdem die Forderung „Schlafe, was willst du mehr?“ als Zitat und Motto über sein Gedicht, knüpft damit offen an Goethes bekanntes und auch oft parodiertes Gedicht an. Der Sprecher, der zunächst hinter seinem Anliegen zurücktritt, wendet sich an „Deutschland“ (V. 1) und nennt es zum Schluss „Mein Deutschland“ (V. 23), womit er sich als Patriot ausweist. Mit der folgenden Anrede „mein Dornröschen“ weiß man zunächst nichts anzufangen; sie ist aus der wiederholten Forderung „Schlafe, was willst du mehr?“ in Anlehnung an die schlafende Prinzessin im Märchen der Brüder Grimm entwickelt. Dornröschens Bestimmung ist jedoch, wachgeküsst zu werden; somit ist die Forderung „Schlafe...“ nur ironisch zu verstehen, der Ich-Sprecher jedoch als der Prinz erwiesen, der Dornröschen/Deutschland wieder ins Leben rufen will.
Die alte Metapher vom Erwachen aus dem Schlaf wird in der Bibel häufig genutzt, um die Menschen zur inneren Umkehr, zu Aufbruch und Neubeginn zu rufen; sie ist auch im Kirchenlied den Menschen des 19. Jahrhunderts geläufig („Wachet auf, ruft uns die Stimme“). Wird hier dagegen Deutschland „im irdischen Gewühle“, wo man vor lauter Lärm natürlich nicht schlafen kann, zum Schlafen aufgefordert, so ist im doppelten Widerspruch (zur Möglichkeit; zur Tradition der Metapher) erneut die Ironie greifbar. Auch die erste Forderung „Mach' dir den Kopf nicht schwer!“, denke also nicht zu viel, sorge dich nicht in schwieriger Zeit (vgl. V. 10), kann jeden denkenden Menschen nur vor den Kopf stoßen: Ironie als Kritik daran, dass es „Deutschland“ offensichtlich genügt, „auf weichem Pfühle“ (V. 1) zu liegen.
„Mach' dir den Kopf nicht schwer!“ leitet eine Reihe von Aufforderungen ein, die sich an das geliebte Deutschland richten und allesamt offensichtlich ironisch gemeint sind:
„Schlafe, was willst du mehr?“ (V. 4, 8 usw.);
„Laß jede Freiheit dir rauben,
Setze dich nicht zur Wehr“ (V. 5 f.);
„gräme dich nicht sehr sehr“ (V. 10), auch wenn man dir die Freiheit raubt (V. 9).
Die Botschaft der Forderungen, die damit 1843 „Deutschland“ gestellt werden, lautet: Kämpfe für die Freiheit, also gegen die Herrschaft der Fürsten und Könige, für Demokratie und Mitbestimmung der Bürger! Dass „jede“ Freiheit geraubt (V. 5) und „alles“ vom „König“ (V. 13) verboten wird (V. 9), diese pauschale Anklage gehört zum Pathos des revolutionären Gedichtes.
Diese Forderungen werden ironisch begründet: Deutschland brauche sich nicht sorgen, weil es ihm gut ergehe. Erstens liegt es ja „auf weichem Pfühle“, was als Zitat noch sehr unbestimmt ist und vielleicht auch nur zum Bild des schlafenden Deutschland gehört: Die gemütliche Liege lädt zum Schlafen ein.
Die darauf folgenden Begründungen benennen Parteien und Positionen im politischen Kampf:
1. Du behältst ja den christlichen Glauben (V. 7);
2. du hast ja Schiller und Goethe (V. 11);
3. der König bezahlt seine Beamten (V. 13-15);
4. es gibt eine Presse im Untergrund (V. 17 f.);
5. man bekommt täglich einen Wetterbericht (V. 19);
6. es gibt keine Nackten in Deutschland (V. 21 f.), was aber als Wortspiel („ohne Höschen“: Sansculotten, also Freiheitskämpfer gibt es nicht) etwas anderes meint: Der gegen Frankreich behauptete „freie“ Rhein als deutscher Strom fließt durch ein Land, in dem es keine Freiheitskämpfer gibt; und was nützt ein angeblich freier Rhein (V. 22), wenn die Deutschen sich jede Freiheit rauben lassen (V. 5)?
Diese Begründungen könnten im Einzelnen ausführlich erläutert werden. Nur so viel sei hier angedeutet, dass der Besitz des christlichen Glaubens ein schwacher Trost bei politischer Unterdrückung ist - abgesehen davon, dass die christlichen Kirchen im Bündnis von „Thron und Altar“ auf der Seite der Unterdrücker standen. Für die Kenntnis von Schiller und Goethe gilt das Gleiche: Als „Klassiker“ haben sie (Goethe schon immer, Schiller nach revolutionären Anfängen) sich einer Sicht des Menschen verschrieben, der auf politischen Kampf verzichtet; dass sie zu den bekanntesten deutschen Dichtern wurden, hängt eben nicht nur von ihrem Können, sondern auch davon ab, dass ihre Lektüre in der Schule aus besagten Gründen gefördert wurde. Die Beamtenbesoldung mit dem Schimpf auf die „Kamele“ (Tiermetapher) wird als Kauf bzw. Verkauf der Seele bewertet (V. 15). Den unpolitischen Deutschen genügt es, so belanglose Dinge wie die Wettervorhersage zu erfahren, statt sich um die Sache der Freiheit zu kümmern; diesen Kampf überlassen sie den 300 Blättern, also der Presse, die im Untergrund (oder unbeachtet: „im Schatten“, V. 18) die Zensur unterläuft. Sie wird im Kampf metaphorisch „ein Sparterheer“ (V. 18) genannt, das statt des Sternenheeres hilft: Leonidas und seine Spartaner verteidigten 480 v.u.Z. Griechenland am Thermopylenpass gegen die Perser, während die anderen Griechen nichts taten. Insgesamt wird durch diese sechs Begründungen ironisch die Un-tätigkeit der Deutschen gerechtfertigt, in Wirklichkeit kritisiert.
Die entscheidenen Wörter in den Forderungen und Begründungen tragen die Betonung: „Deutschland“, auf der ersten Silbe betont, der Adressat aller Äußerungen; „schwer“ als das zu meidende Negative; „Gewühle“ (2. Silbe) als die Situation, wo man nicht schlafen kann; „schlafe“ als Hauptforderung und so weiter. In den Reimen werden einerseits Verse so verbunden, dass sie sich gegenseitig verstärken: Freiheit rauben lassen / den christlichen Glauben bewahren (V. 5/7); ähnlich ist es mit „verböte / Goethe“ (V. 9/ 11) oder „Kamele / Seele“ (V. 13/15). Es gibt aber auch Reime, in denen Gegensätze zusammengeschlossen sind, etwa „Pfühle / Gewühle“ (V. 1/3).
Wie und wozu verarbeitet Herwegh Goethes Gedicht? Schon mit dem Motto, dem Ziat des Refrains „Schlafe, was willst du mehr?“ weist er seinen Lesern nicht nur die Richtung, sondern sagt ihnen auch, dass er „Göthe“ zitiert. Wichtig und brauchbar ist offensichtlich die in dessen Gedicht vorgegebene Situation, dass ein angesprochenes Du „schläft“ (Übernahme der Wendung „auf weichem Pfühle“, V. 1); allgemeiner gsprochen, ist Herwegh die Differenz von Traum und Realität wichtig, die er als Differenz von Ideologie (Goethe, christlicher Glaube) oder Vordergrund (das Wetter) und dem wesentlichen politischen Kampf („im irdischen Gewühle“, V. 3, von Goethe übernommen) gestaltet. Zusätzlich sind Metrum und Verslänge (drei Hebungen) sowie das Schema des Kreuzreims übernommen - Bildungsverliebte (3. Strophe) werden so mit ihren eigenen Waffen bekämpft.
Insgesamt ist Herwegh weniger an großer Dichtung als am politi-schen Kampf interessiert; er benutzt ein bekanntes Gedicht des vom Jungen Deutschland (s. Artikel im SD „Die Literatur“!) verachteten Herrn Goethe, um, dieses Gedicht in der Form nachahmend, jedoch nicht als Gedicht parodierend, sein Deutschland, also seine Lands-leute zum Kampf gegen Unterdrückung und für die Freiheit der Bürger aufzurufen. Zwar wiederholt er mit Goethe „Schlafe!“, aber er sagt: Lasst es euch nicht an Pension und Kultur, an Ideologie und Wettervorhersage genügen, sondern werdet wach, kämpft!
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