Ferdinand von Saar :: Критика
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«Doch du bist noch, o Wien! Noch ragt zum Himmel dein Turm auf, / Uralt mächtiges Lied rauscht ihm die Donau hinan. / Und so wirst du bestehen, was auch die Zukunft dir bringe - / Dir und der heimischen Flur, die dich umgrünt und umblüht. / Sieh, es dämmert der Abend, doch morgen wieder das Frührot - / Und bei feinem Geläut segnet dich jetzt dein Poet.» So grüsste Ferdinand von Saar als Sechzigjähriger seine Heimatstadt in einem seiner erfolgreichsten Werke, den «Wiener Elegien» - als wäre die alte Kaiserstadt an der Donau nicht genau im Laufe dieses Dichterlebens eine vollkommen andere geworden. Den Abriss der Umwallung, die Niederlegung der zusammengedrängten alten Gebäude, in denen Mozart, Haydn oder Beethoven gelebt und gearbeitet hatten, den Bau der Ringstrasse mit ihren alle historischen Stile kombinierenden grossen Neubauten - all das hat der 1833 in eine geadelte Beamtenfamilie hineingeborene Schriftsteller ebenso mit eigenen Augen sehen können wie das allmähliche unter dem Nationalismus der slawischen Völker beginnende Auseinanderbrechen der überholten Konstruktion der k. u. k. Monarchie und die Niederlagen gegen den skrupellos aufstrebenden preussischen Rivalen.
Parvenus und Börsenkrach, Aufschwung und Niedergang - all dies lag in der langen Franz- Joseph-Ära dicht nebeneinander und erzeugte eine Stimmung von Melancholie, die nach einem Wort Hugo von Hofmannsthals keiner so ins Wort gefasst hatte wie Ferdinand von Saar: «Dieses Heimweh nach Jugendlichkeit, diese Sehnsucht nach verlorener Naivetät, die aus Kinderaugen ins Leben schaut, nach Einfachheit, nach Resignation und nach stillem, leisegleitendem Leben ist eine sehr österreichische Stimmung, vielleicht die Grundstimmung unserer wirklichen Dichter», schrieb der Jüngere 1891 über Ferdinand von Saars im adligen Milieu spielende Novelle «Schloss Kostenitz».
Lange hatte Saar gebraucht, ehe er endlich im realistischen Erzählen die ihm gemässeste Form literarischen Schaffens fand. Früh verwaist und vaterlos aufgewachsen, hatte der junge Saar zunächst die militärische Laufbahn eingeschlagen, bald jedoch seinen Abschied genommen, um sich ganz der Dichtung widmen zu können. Ausgerechnet für einen Dramatiker, der er nie gewesen und nie geworden ist, hielt er sich, ehe er sich neben der Lyrik vor allem dem Erzählen zukehrte. Er schilderte verschiedene soziale Schichten, etwa das Militär («Leutnant Burda»), die Welt von Kunst und Musik («Die Geigerin»), mit besonderem Realismus aber das Milieu vereinsamter einfacher Menschen, so in der kleinen Erzählung «Tambi» aus dem Jahre 1882, und der Arbeiterschaft, etwa in den kurzen Novellen «Die Steinklopfer» (1874). Nicht weniger als die Stadt Wien bildet aber auch die Landschaft von Mähren, wo sich der Dichter selbst viele Jahre aufgehalten hatte, den atmosphärischen Hintergrund vieler seiner Erzählungen.
Lange hatte Saar den Zustand bitterer Armut erfahren, sogar in Schuldhaft. Spät erst stellte sich der materielle Erfolg seiner Arbeit ein, nachdem zunächst nur wohlwollende Mäzenatinnen wie Josephine von Wertheimstein den Dichter aus der grössten Not befreit hatten. Erst 1889 und 1892 erschienen die zwei Novellensammlungen «Schicksale» und «Frauenbilder». Eine kurze Ehe hatte bereits 1884 mit dem Selbstmord der Frau geendet. Kein Wunder, wie stark das Werk allenthalben von einem aus Schopenhauerscher Philosophie genährten Pessimismus bestimmt geblieben ist, auch nachdem sich allmählich die öffentliche Anerkennung - so durch die Berufung ins Herrenhaus, aber auch durch die rühmenden Stimmen Hermann Bahrs, Arthur Schnitzlers und anderer - eingestellt hatte.
Verbindung von Erzählung und Lyrik. Auch die Novelle «Seligmann Hirsch», vordergründig die Geschichte der Assimilierung eines Juden, schlägt um in die Vorahnung des verhängnisvollen Zusammenbruchs der Donaumonarchie. Mit seiner grossen Zeitgenossin Marie von Ebner-Eschenbach stand Saar in brieflichem Austausch; der als Lebens- und Zeitdokument bedeutende Briefwechsel ist erhalten und inzwischen im Druck zugänglich.
Nur selten, so in den «Wiener Elegien», in denen Saar seine Neigung zu Erzählung und Lyrik verbinden kann, nähert Saar sich gar in Form und Inhalt einmal der Idylle - im Tiefsten wohl ohne Grund. Der gealterte Dichter, dessen Tage ein sich verschlimmerndes Magenleiden verdüsterte, schoss sich am 23. Juli 1906, vor einem Spiegel sitzend, unglücklich in die Schläfe; einen ganzen Tag noch währte der furchtbare Todeskampf Ferdinand von Saars.
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