Paul Celan :: Критика
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Paul Celans "Todesfuge", das "Jahrhundertgedicht" (Wolfgang Emmerich), das "Guernica der europäischen Nachkriegsliteratur" (John Felstiner), ist aller Wahrscheinlichkeit nach 1945 entstanden. Freunde des Dichters erinnern sich an eine Ausarbeitung in Czernowitz 1944, Celan selbst gibt das Jahr darauf an. Der 24-Jährige ist gerade aus dem rumänischen Arbeitslager in seine Heimatstadt zurückgekehrt - ohne seine Eltern, die in einem Konzentrationslager ihr Leben lassen mussten. Diese traumatische Situation mit ihren bedrückenden Bildern bildet den Ausgangspunkt für Celans berühmte "Todesfuge".
Anregungen für sein Werk erhält der Lyriker wohl auch durch ein Gedicht seines Freundes Immanuel Weissglas, das dieser aus einem der Todeslager mitgebracht hatte. Davon ausgehend entsteht eine Art poetischer Wettstreit zwischen den Freunden, der schließlich zur "Todesfuge" führt. Das zunächst als "Todestango" betitelte Gedicht erscheint als Celans erste Veröffentlichung 1947 in rumänischer Übersetzung in der Zeitschrift Contemporanul. Ein Jahr später wird die "Todesfuge" – jetzt auf Deutsch – in Celans Gedichtsammlung "Der Sand aus den Urnen" veröffentlicht. Diese Sammlung erzielt jedoch keine breite Wirkung, weil Celan die Auflage wegen "sinnentstellender Druckfehler" bald wieder einstampfen lässt. Erst die Wiederaufnahme in den 1952 erscheinenden Band "Mohn und Gedächtnis" macht das Gedicht überall bekannt.
Die »Todesfuge« ist kein Gedicht über Auschwitz, wie oftmals angenommen wurde, sondern ein Text im Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungslager. So vermeidet das Gedicht in seinen Bildern die direkte Nachbildung der Vernichtung und versucht stattdessen ein Bewusstsein zu schaffen für das unvorstellbare Geschehen, indem es auf den Zusammenhang von hochentwickelter Zivilisation und barbarischer Bestialität sowie immer wieder auf die unermesslichen Leiden der Opfer hinweist.
Überhaupt arbeitet das bis ins kleinste Detail durchgeformte Gedicht vorwiegend mit dem Mittel der Gegenüberstellung. Zunächst entfaltet es allein durch die Diskrepanz von Form und Inhalt – auf der einen Seite die poetische und rhythmisch fließende Sprache, auf der anderen Seite die grausamen Geschehnisse – eine geradezu magische Wirkung. Unterstützt wird diese Atmosphäre durch die den Text durchziehenden kryptischen Chiffren, der "schwarzen Milch", dem "Grab in den Lüften", dem "Mann, der mit den Schlangen spielt" und dem "Tod als Meister aus Deutschland". "Wir trinken/ein Mann wohnt im Haus" wird ebenso gegenübergestellt wie "dein goldenes Haar Margarethe/dein aschenes Haar Sulamith". Auf der einen Seite stehen die Opfer, das Wir, die draußen schaufeln und zum Tanz aufspielen müssen, auf der anderen "ein Mann", vielleicht der Lageraufseher als Stellvertreter für die Täter. Er befindet sich im Haus, verteilt von dort Befehle und schreibt einen Brief an eine Frau, die durch ihre Attribute wie "goldenes Haar" und ihrem Namen Margarethe zum Prototyp der deutschen Frau wird. Diese Gegenüberstellung, die ähnlich wie Stimme vs. Gegenstimme, Bild vs. Gegenbild funktioniert, erzeugt die dramatische Spannung des Gedichts.
Von der Gestaltung her bedient sich Celan dabei der Form der Fuge, einem aus der Musik bekannten Kompositionsprinzip, das kontrapunktisch aus Thema und Gegenthema, aus verschiedenen Durch- und Weiterführungen besteht. Celan überführt dieses Schema in Wort-Klang-Bildfolgen: Die in der ersten Strophe gegenübergestellten Bilder (Opfer und Täter) werden in den folgenden Strophen variiert, um dann am Ende wieder zusammengefügt zu werden. Die keinem bestimmten Rhythmus folgenden Langzeilen verzichten auf sämtliche Satzzeichen. Der einzig vorhandene Reim "sein Auge ist blau/er trifft dich genau" gleicht in seiner Wirkung einem präzisen Todesschuss.
Mit ihren vielfältigen Bezügen aus den Bereichen Musik, Literatur (Fausts Gretchen = Margarethe) und Religion (Jungfrau Sulamith aus dem Hohen Lied) durchschreitet die "Todesfuge" die traditionellen Kunstformen und fügt scheinbar unvereinbare Gegensätze zusammen: den romantischen Briefeschreiber mit dem skrupellosen Täter, Sentimentalität und Grausamkeit. So vermeidet sie jegliche Eindimensionalität und wird stattdessen zum poetischen Gleichnis für ein fast unsagbares Leid.
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