Ïðî÷èòàíèé : 232
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Êðèòèêà
Arme Lieder
1. Meine Nachbarschaft
Mein Fenster schaut auf einen düstern Hof,
Auf schmutzge Dächer und auf russge Mauern,
Doch wer wie ich ein Stückchen Philosoph,
Lässt darum sich noch lange nicht bedauern.
Ein wenig Luft, ein wenig Sonnenlicht
Dringt schliesslich auch durch seine trüben Scheiben,
Zu hungern und zu frieren brauch ich nicht
Und all mein Thun ist nur ein wenig Schreiben.
Ein wenig Schreiben, wenn ich stundenlang
Mich einlas in die Wunderwelt der Alten,
Bis endlich, endlich es auch mir gelang,
Was ich gefühlt, zum Wohllaut zu gestalten.
Dann fliesst es um mich wie ein Heilgenschein,
Und mir im Herzen bauen sich Altäre;
So könnt ich glücklich und zufrieden sein,
Wenn ach, nur meine Nachbarschaft nicht wäre!
Kein Schwärmer ist es, der die Flöte liebt
Und auf ihr nur "des Sommers letzte Rose",
Kein Tanzgenie, das ewig Stunden giebt,
Auch kein klavierverrückter Virtuose:
Ein armer Schuster nur, der nächtens flickt,
Wenn längst aufs Dach herab die Sterne scheinen,
Indess sein Weib daneben sitzt und strickt
Und seine Kinderchen vor Hunger weinen!
O Gott, wie oft nicht schon hat dieser Laut
Mich mitten aus dem tiefsten Schlaf gerüttelt!
Und wenn ich halbwach dann mich umgeschaut,
Hat wild es wie ein Fieber mich geschüttelt.
Des Mädchens Schluchzen und des Knaben Schrei
Und ganz zuletzt des Säuglings leises Wimmern -
Mir war's, als hörte ich dann nebenbei
Drei kleine, kleine schwarze Bettlein zimmern.
Mir war's, als rollte dumpf dann vor das Haus
Der nur zu wohlbekannte Armenwagen
Und jene Bettlein trugen sie hinaus
Und luden sie in seinen düstern Schragen.
Der Kutscher aber nahm noch einen Schluck
Und peitschte fluchend seine magren Schinder
Und übers Pflaster dann ging's Ruck auf Ruck,
Doch ach, noch immer wimmerten die Kinder!
Und immer, immer noch klang's mir im Ohr,
Wenn schon der Morgen durch das Fenster blickte,
Und mir ums Auge hing einen Thränenflor,
Wenn ich dann stumm mein Tagewerk beschickte.
Was half mir nun mein "Stückchen Philosoph"?
In Trümmer fiel, was ich so luftig baute!
Doch that's das Haus nicht, nicht der düstre Hof,
Nein, nur die abgebrochnen Kindeslaute! -
Die Armuth bettelt um ein Stückchen Brot,
Doch herzlos lässt der Reichthum sie verhungern
Millionen tritt die Goldgier in den Koth,
Und Einen einzigen nur lässt sie lungern.
In seidne Betten wühlt sie ihn hinein,
Wenn er beim Sect sich endlich ausgeplappert,
Indess beim flackernden Laternenschein
Das bleiche Elend mit den Zähnen klappert.
O Gott, warum dies alles, o warum?
Wie Centnerlast drückt mich die Frage nieder!
In meinen Reimen geht sie heimlich um
Und ächzt und stöhnt durch meine armen Lieder.
Was bleibt mir noch auf diesem Erdenball?
Denn auch die Kunst, längst stieg sie vom Kothurne!
Einst schlug mein Herz wie eine Nachtigall,
Doch ach, nun gleicht es einer Thränenurne!
2. Een Boot is noch buten!
"Ahoi! Klaas Nielsen und Peter Jehann!
Kiekt nach, ob wi noch nich to Mus sind!
Ji hewt doch gesehn dem Klabautermann?
Gott Lob, dat wi wedder to Hus sind!"
Die Fischer riefen's und stiessen ans Land
Und zogen die Kiele bis hoch auf den Strand,
Denn dumpf an rollten die Fluthen;
Han Jochen aber rechnete nach
Und schüttelte finster sein Haupt und sprach:
"Een Boot is noch buten!"
Und ernster keuchte die braune Schaar
Dem Dorf zu über die Dünen,
Schon grüssten von fern mit zerwehtem Haar
Die Frau'n an den Gräbern der Hünen.
Und "Korl!" hiess es und "Leiw Marie!"
"'T is doch man schön, dat ji wedder hie!"
Dumpf an rollten die Fluthen -
"Un Hinrich, min Hinrich? Wo is denn dee?!"
Und Jochen wies in die brüllende See:
"Een Boot is noch buten!"
Am Ufer dräute der Möwenstein,
Drauf stand ein verrufnes Gemäuer,
Dort schleppten sie Werg und Strandholz hinein
Und gossen Oel in das Feuer.
Das leuchtete weit in die Nacht hinaus
Und sollte rufen: O komm nach Haus!
Dumpf an rollen die Fluthen -
Hier steht Dein Weib in Nacht und Wind
Und jammert laut auf und küsst Dein Kind:
"Een Boot is noch buten!"
Doch die Nacht verrann und die See ward still
Und die Sonne schien in die Flammen,
Da schluchzte die Aermste: "As Gott will!"
Und bewusstlos brach sie zusammen!
Sie trugen sie heim auf schmalem Brett,
Dort liegt sie nun fiebernd im Krankenbett
Und draussen plätschern die Fluthen;
Dort spielt ihr Kind, ihr "lütting Jehann",
Und lallt wie träumend dann und wann:
"Een Boot is noch buten!" -
3. So Einer war auch Er!
Liegt ein Dörflein mitten im Walde,
Ueberdeckt vom Sonnenschein,
Und vor dem letzten Haus an der Halde
Sitzt ein steinalt Mütterlein.
Sie lässt den Faden gleiten
Und Spinnrad Spinnrad sein
Und denkt an die alten Zeiten
Und nickt und schlummert ein.
Heimlich schleicht sich die Mittagsstille
Durch das flimmernde, grüne Revier.
Alles schläft; selbst Drossel und Grille
Und vorm Pflug der müde Stier.
Da plötzlich kommt es gezogen
Blitzend den Wald entlang
Und vor ihm hergeflogen
Trommel und Pfeifenklang.
Und in das Lied vom alten Blücher
Jauchzen die Dörfler: Sie sind da!
Und die Mädels schwenken die Tücher
Und die Jungens rufen: Hurrah!
Gott schütze die goldnen Saaten,
Dazu die weite Welt;
Des Kaisers junge Soldaten
Ziehn wieder ins grüne Feld!
Sieh, schon schwenken sie um die Halde,
Wo das letzte der Häuschen lacht!
Schon verschwinden die ersten im Walde
Und das Mütterchen ist erwacht
Versunken in tiefes Sinnen,
Wird ihr das Herz so schwer
Und ihre Thränen rinnen:
"So Einer war auch Er!"
4. Ein Herz, das zersprungen
Den Menschen fernab
In Sammt und in Trauer
Liegt einsam ein Grab,
Ein Grab an der Mauer.
Kein Marmorstein deckt
Den sinkenden Hügel,
Doch drüberhin reckt
Ein Baum seine Flügel.
Ein Christuskreuz sieht
Aus blühendem Flieder
Und manchmal auch kniet
Ein Weib davor nieder.
Und gestern, als sacht
Ich vorübergegangen,
Da gab ich drauf Acht,
Was die Vögel dort sangen.
Ich lauschte und sieh,
Da war es die alte,
Die Schmerzmelodie,
Die noch niemals verhallte:
Ein Baum, der verblüht,
Ein Ton, der verklungen,
Ein Stern, der verglüht,
Ein Herz, das zersprungen!
5. Nachtstück
Längst fiel von den Bäumen
Das letzte Blatt,
In Schlaf und Träumen
Liegt nun die Stadt;
Die Fenster verdunkeln
Sich Haus an Haus
Und drüberhin funkeln
Die Sterne sich aus;
Kalt weht es vom Strom her,
Der Eisgang kracht,
Und drüben vom Dom her
Dröhnt's Mitternacht.
Ich aber schleppe mich zitternd nach Haus -
Der Nordwind bläst die Laternen aus!
Was half's, dass ich klagend
Die Gassen durchlief
Und mitleidverzagend
"Hier Rosen!" ausrief?
"Hier Rosen, o Rosen!
Wer kauft einen Strauss?"
Doch die Herren Studiosen
Lachten mich aus!
Und keiner, keiner ....
Dass Gott erbarm!
O unsereiner
Ist gar zu arm!
Mir wanken die Kniee, mein Herzblut gerinnt -
O Gott, mein Kind, mein armes Kind!
In stockdunkler Kammer,
Verhungert, verthiert!
Schon packt mich der Jammer:
"Ach Muttchen, mich friert!
Ach bitte, bitte
Ein Stückchen Brot!"
Mir ist es, als litte
Ich gleich den Tod!
Mir ist es, als müsste
Ich schreien: "Fluch!" -
O dass ich dich küsste
Durchs Leichentuch!
Dann wär es vorbei und sie scharrten dich ein
Und ich trüg es allein, o Gott, allein...
6. Weder Glück noch Stern!
Es war ein Narr! sprach mitleidslos die Welt,
Ein Träumer! milderte die Nachbarschaft
Und nur sein Herzfreund sprach: Er war ein Dichter!
Vor seinem Krankenlager aber sass
Die bleiche Schwester der Barmherzigkeit
Und blickte sinnend auf ein Blatt Papier,
Das gestern erst der flinke Telegraph,
Mit seinen krausen Zügen überdeckt,
Und nur mit Mühe konnte sie entziffern:
"Ihr erstes Stück! Ein Sensationserfolg!
Berühmt mit einem Schlag! Wir gratuliren!"
Er aber, dem dies kleine Blatt Papier
Die heissersehnte Botschaft künden sollte:
Glück auf, nun hast du nicht umsonst gelebt -
Er schlief und sah es nicht, denn er war todt.
Der dunkle Winterabend warf sein Licht
Kalt durch die zugefrornen Fensterscheiben
Und spielte zitternd um ein Frauenbild,
Das auf die bleiche Stirn des todten Dulders
Unsäglich schön und mitleidsvoll herabsah.
Darunter aber wand ein welker Kranz
Sich grün um ein vergilbtes Atlasband;
Drauf stand, voreinst von Freundeshand geschrieben,
Das Sprüchlein: Lorbeerbaum und Bettelstab!
7. Ninon
Ninon heisst sie. Ihre Mutter
Handelt nachts mit Apfelsinen
An der Weidendammer Brücke.
Doch sie selbst ist Kammerkätzchen.
Stöckelschühchen. Sehr kokett.
Sehr kokett sitzt auch ihr Häubchen,
Das auf ihrem krausen Köpfchen
Weiss und niedlich balanciert.
Doch der kleine Marmorschlingel,
Der dem Spiegel vis-a-vis
Grad vor einem Makartstrauss hockt,
Lässt sich dadurch nicht verblüffen.
Immer, wenn ihr Pfauenwedel
Ihn frühmorgens abstäubt, lacht er.
Ja, die Stutzuhr kann sogar
Deutlich hören, was er sagt:
"Thu mir den Gefallen, Kind, und
Kokettiere nicht so viel!
Ninon nennt die gnädge Frau dich?
Geh, du heisst ja gar nicht so!
Martha heisst du. Dein Papa
War der gnädge Herr von Dingsda.
Vor drei Wochen in New-York
Starb er als Conditorlehrling.
Deine Mutter lebt. Sie schielt,
Hinkt und schnupft. Im Uebrigen
Handelt sie mit Apfelsinen
An der Weidendammer Brücke."
8. Im Volkston
Das Scheiden, ach das Scheiden,
Wer hat das nur erdacht
Und ein so schweres Leiden
Mir übers Herz gebracht?
Und wär's ein Kräutelein,
Ich nähm mein Messerlein
Und wollte flink zerschneiden
Die bösen Würzelein.
Ich hörte von den Weiben
Herzliebe und Herzleid,
Wo Herzelieb mag bleiben,
Ist Herzeleid nicht weit.
Herzliebe war uns hold
Und fluchs kam angetrollt,
Die Schwester zu vertreiben,
Herzleide, die ihr grollt.
Aus Thor und Thurm und Mauern
Zieh ich hinab das Thal
Und blicke noch in Trauern
Zurück zum letzten Mal.
Horch, wie die Winde gehn,
Schau, wie die Blätter wehn -
Ach Gott, wie lang wird's dauern,
Bis wir uns wiedersehn!
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