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Hermann Conradi



 

Hermann Conradi :: Критика

Творчість | Біографія | Критика

Hermann Conradi war der eigentliche Vater der Anthologie jener feurigen Aufrührer, die der Schauspieler und poetische Schwärmer Wilhelm Arent (geb. 1864), thatsächlich mehr der geschäftliche Garant des Unternehmens, 1884 als „Moderne Dichter-Charaktere“ „unter Mitwirkung von Hermann Conradi und Karl Henckell“ herausgab; die 1885 herausgekommene zweite Titelauflage trug das bezeichnende Aushängeschild „Jung-Deutschland“. Diese lyrischen Beiträge einer langen Reihe junger Poeten hatte wol meist C. zusammengebracht, wie er sie auch gemeinsam mit seinem Busenfreunde – s. u. dessen schöne Apotheose, unmittelbar nach dem Hinscheiden Conradi’s gedichtet – dem Hannoveraner Henckell (geb. 1864), dem erst viel später zu entschiedener Gedanken- und Formenklärung durchgedrungenen, in die Oeffentlichkeit einführte und vor dieser vertrat. Henckell’s stark im Gleise der Brüder Hart’schen Thesen docirende Einleitung betonte, die junge Generation des erneuten geeinten großen Vaterlands strebe dahin, die Poesie wieder zu einem Heiligthume zu machen; Conradi’s „Credo“ versprach dem deutschen Volke eine neue Lyrik, losgelöst von jeder „Convention“ und jeder „Banalität“, sich begeisternd nur für das Wahre, Natürliche, Ursprüngliche, wirklich Große und zum Herzen Gehende, würdig der ersehnten Zeit der „großen Seelen und tiefen Gefühle“, so daß sie sich unter das Motto stellten: „Wir rufen dem kommenden Jahrhundert“. Auch der Franzose A. Bossert würdigt in seiner „Histoire de la littérature allemande“ (1901), S. 1023 dies Reservoir neuer und neu aufgeputzter alter Lyrik nebst Conradi’s [512] „Glaubensbekenntniß“ als manifeste sorti de la nouvelle école, .. non modeste. Obwohl in diesem ersten Sammelbuche jüngstzeitlicher Lyrik gar viel Rodomontade und Kauderwelsch steckt, verdient es doch kritisch, sowohl litterarpsychologisch als -historisch, die Beachtung als Basis und Hauptdocument der Anfänge fast aller seitherigen deutschen Naturalisten, wie denn auch Otto Erich Hartleben (geb. 1864) und selbst Gerhart Hauptmann (geb. 1862), die beiden mit ihrem Uebertritt zum Bühnendrama selbständig gewordenen und einzig erfolgreich durchgedrungenen Mitglieder jenes Cirkels, hier wurzeln und sogar der Classicist Ernst v. Wildenbruch zur lyrischen Sammelmappe beigesteuert hatte. C. ist es, der dem Sturm und Drang all dieser meist unausgegorenen Dichterdebutanten mit folgenden wichtigen Programmsätzen im Vorwort zu ihrer Anthologie Ausdruck verlieh: „Der Geist, der uns treibt zu singen und zu sagen, darf sich sein eigenes Bett graben. Denn er ist der Geist wiedererwachter Nationalität. Es ist germanisches Wesen, das all des fremden Flitters und Tandes nicht bedarf.... Es wird jener selig-unselige Drang wieder über uns kommen, der uns all den nichtigen Plunder vergessen läßt; der uns wieder sehegewaltig, welt- und menschengläubig macht, der uns das lustige Faschingskleid vom Leibe reißt und dafür den Flügelmantel des Poeten, des wahren und großen, des allsehenden und allmächtigen Künstlers, um die Glieder schmiegt, – den Mantel, der uns aufwärts trägt auf die Bergzinnen, wo das Licht und die Freiheit wohnen, und hinab in die Abgründe, wo die Armen und Heimathlosen kargend und duldend hausen, um sie zu trösten und Balsam auf ihre bluttriefenden Wunden zu legen. Dann werden die Dichter ihrer wahren Mission sich wieder bewußt werden, Hüter und Heger, Führer und Tröster, Pfadfinder und Wegeleiter, Aerzte und Priester der Menschen zu sein“. Solch weiten und hehren Zielen nachzustreben hat nun freilich C. wenig Ansätze gemacht. Während seine erste buchmäßige Veröffentlichung 1884 ein Neudruck des „Wanderbuchs eines Schwermüthigen“ (1831–32) des neuerdings durch Ludwig Geiger wieder hervorgezogenen Daniel Leßmann (1794 bis 1831, s. A.D.B. XVIII, 453) war, verrieth sofort das „Faschings-Brevier für das Jahr 1885. Herausgegeben von Johannes Bohne und Hermann Conradi“, bis zu einem gewissen Grade auch dessen Erscheinen im Verlagsmagazin von J. Schabelitz in Zürich, daß Conradi’s Trieb nach nichts weniger als dazu drängte, sich bei einer bedächtig realistischen Auffrischung der deutschen Dichtkunst unter idealistischen Leitsternen führerisch zu bethätigen. So bot jenes „Jahrbuch der Narrheit“ zum kleineren Theile Glossen über die gelegentlichen menschlichen Thorheiten und deren Recht, zum größeren maßloseste Zoten. Nach Leipzig 1886 übergesiedelt, um weiter Philosophie, Kunstgeschichte und Nationalökonomie zu studiren, gerieth C. immer tiefer in einen radicalen Naturalismus, und die heftigen Zusammenstöße mit der sich wehrenden, theilweise auch das factische Unvermögen der meisten „Jüngstdeutschen“ – so hießen sich C. und seine Freunde allmählich selbst – herb bespöttelnden idealistischen Richtung fesselten all sein Denken und Sinnen. Physisch schwächlich und durch das Unfeste seiner äußern Existenz psychisch bedrückt, vermochte er nicht, sich über sich selbst und seine Gaben klar zu werden. Er fühlte sich als Uebergangsmensch und wähnte, die ihm Vorschwebende neue Blütheperiode durch eigene Arbeit mit vorzubereiten, während es ihm nicht gelang, die nach Mitte der 80er des 19. Jahrhunderts in Umlauf gesetzten Ideen Ibsen’s, Tolstoi’s, Nietzsche’s zu verdauen und sein eigenes Brodeln davon zu scheiden. Die Erzeugnisse unbestimmten Tastens, die er damals, um den Faden nicht zu verlieren und was in ihm wogte darzuthun, auf den Markt warf, waten darum [513] theils im ultranaturalistischen Schlamm pariserischen Musters, theils schleudern sie vor den Leser abstruse Brocken in oft curioser Form hin, die großenteils Absprengsel der Lektüre jener drei genannten Apostel sind, die damals auf den Gipfel der Anbetung für Deutschland emporstiegen. Die Skizzen und Studien „Brutalitäten“ (1886) schwimmen gänzlich im roh-naturalistischen Fahrwasser, die „Lieder eines Sünders“ (1887) dagegen lassen lebhaft bedauern, daß C. verblendet sich in die Schlingen der Anschauung verrannt hat, die die nackteste Photographie der irdischen Geschehnisse als Poesie und deren Aufgabe ausschrie. Wenn diese „Lieder eines Sünders“ auch noch „so krankhaft-leidenschaftlich suchend umhergreifen wie die Hände eines Fiebernden“ – so sagt R. M. Meyer, reiches vielseitiges lyrisches Talent bricht in ihnen immer wieder durch, so daß ein verständnißvoller Parteigänger, Otto Jul. Bierbaum, sehr wohl „einzelne wundervolle Stücke“, ein gemessener vermittelnder Beurtheiler wie Otto v. Leixner einzelne edle Bilder und schöne Gedanken, öftere Beweise weicher Sprache und feinempfundener Form, denen es allerdings infolge krankhaft überreizten Gefühlslebens an echter männlicher Kraft und phrasenloser Wiedergabe des Freiheitsdranges gebreche, darin entdecken durften. Daß C. 1887 nach München verzog, nimmt Niemanden wunder, der weiß, wie sich daselbst ungezügelt eine Litteraten- und Künstlerseele ausleben kann, zumal wenn man bedenkt, daß die durch Michael Georg Conrad dort geleitete energischste Gruppe der modernen deutschen Veristen in dessen Monatsschrift „Die Gesellschaft“ gerade damals auf der Höhe ihres Einflusses stand. In dieser hat denn auch C. allerlei kleinere Abfälle erzählenden und kritischen Inhalts, hie und da auch Lyrisches fürder niedergelegt. An selbständigen Arbeiten brachte er, außer den nicht weiter bemerkenswerten Skizzen „Bizarres“ und „Hausirer-Geschichten“ (beide 1888), drei charakteristische Werke hervor: den Roman „Phrasen“ (1887), einen Wust unausgereifter studentischer Schwülstigsten, die eine mannichfache anwidernde Handlung durchranken und dienen sollen zur sogenannten Seelenanalyse „moderner“ Menschen nach pseudo-Dostojewski’schem Recept; dann zur Begrüßung des neuen hoffnungsumwirbelten Kaisers „Wilhelm II. und die junge Generation. Eine zeitpsychologische Betrachtung“ (1887), zu der Bierbaum, der kurz vor Conradi’s Tode ihn beklagt, wie dieses genial Angelegten bedeutende Gaben durch Maßlosigkeit zu Grunde gingen, bemerkt „welch abstruse Philosophastereien hat er von sich gegeben, zumal in dieser tollen Broschüre“; endlich den Roman „Adam Mensch“ (1888). Dieses erzählende und psychologische Hauptwerk Conradi’s treibt seine Sucht, Seelenzustände zu zerfasern, auf die Spitze, ohne daß der Dichter, der in diesem schwankenden, allmählich immer haltloseren Privatgelehrten Dr. Adam Mensch mit seinem typischen Namen und bis auf Goethe’s Werther zurückreichenden Wesen seine eigene Entwicklung abconterfeit, an Welt-, Lebens-, Menschenkenntnis gar viel gewonnen hätte. Die Verworrenheit der Grundsätze, so weit solche nicht zum alten Eisen rechnen, besonders die rücksichtslose Auffassung des Weibes als bloßen Spielballs, vertrug ja kaum noch eine Steigerung: „ein genialer Kopf ohne Selbstzucht und Selbstkritik, eine dämonisch erfüllte Poetennatur, die in Wüstheiten sich selbst verliert“, dies Urtheil Bierbaum’s macht uns „Adam Mensch“ am verständlichsten. Henckell’s Totenklage (s. u.) schob ja C. bereits für seine Anfänge als geschworene Absicht zu, „scharf in das faule Fleisch der Zeit zu schneiden, Der Zeit Gedärme gründlich auszuweiden“; diese hat C. in „A. M.“ übergenug gelöst! Die grenzenlose Gewagtheit der Situationen, auch mehrerer Ausdrücke (z. B. „verrecken“, um den Abschluß des Kreuzigungsdramas zu bezeichnen), veranlaßte [514] die Staatsanwaltschaft, diesen Roman zusammen mit je einem Werke Conrad Alberti’s (d. i. Sittenfeld) und Wilh. Walloth’s wegen Vergehens gegen die öffentliche Sittlichkeit im April 1890 anzuklagen. Der Verfasser, der sich, um seine abgebrochenen Studien abzuschließen, nach Würzburg gewandt hatte, war da am 8. März 1890 rastlos strebend und voller Pläne gestorben, infolge eines Erstickungsanfalles während einer acut ausgebrochenen achttägigen Lungenentzündung, – nicht, wie vielfach verlautete, durch Selbstmord. Die Gerichtsverhandlung sprach sein letztes Werk von der processualen Verfehlung frei – von den Sünden wider die Gesetze der Poetik, der Psychologie, der Aesthetik läßt sich dieses Verstiegenste, aber die Theorie des extremen psychologischen Naturalismus voll befriedigende jüngstdeutsche Product nicht freisprechen. Uebrigens belegt dieser prägnanteste Niederschlag der Conradi’schen Muse eine weitere Seite dieses Kränksten der ganzen Litteratenschar: neben seiner Unfähigkeit zur Seelenbeobachtung und -spiegelung „litt er mehr noch als die meisten Jüngsten an jener Selbstüberschätzung, die es verschmäht, sich liebevoll mit Wissenschaft und Leben zu beschäftigen; von den Erscheinungen zu lernen, ehe man sie meistert“ (so Leixner). Nicht nur Stoff und Idee, auch die technische Formulirung und das sprachliche Gewand seiner großen und vielen skizzenhaften kleinen Ergüsse bekunden deutlich einen Zug zu Affectiertheit und gewaltsam trivialer Wendung, der sich mit diesem Dogma von der alleinseligmachenden Natürlichkeit schwer in Einklang bringen läßt. Am gelungensten erscheinen eine Anzahl gemüthvoller kurzer Gedichte, die auch allein seinem Namen Fortdauer verbürgen könnten. Alles andere behält nur litterarhistorisches bezw. pathologisches Interesse. Um seine Einzelschriften entbrannte, seitdem er mit der Einführung der „Modernen Dichter-Charaktere“ als Bannerträger auf den Plan getreten, in der Presse ein erbitterter Kampf, und es ist heute sehr lehrreich, die verschiedenen kritischen Stimmen von damals neben einander zu hören, auch die Aeußerungen der Zeitungsblätter über den „Adam Mensch“-Proceß vom April 1890. Hermann C. selbst ist bei seinem frühen Hinscheiden von seinen Freunden, Genossen und Verehrern in überschwänglichstem Maße verhimmelt worden, was aber jeder, der die Siedehitze jener litterarischen Kämpfe mit durchgemacht hat, leicht verstehen mag. Verhältnißmäßig wenig davon ist ins große Publicum gedrungen: Leihbibliothekslektüre war C. nicht, und wer nicht vom „Bau“ oder sonstwie auf ihn aufmerksam gemacht war, dürfte ihn durchweg wegen der Frivolitäten in die Hand genommen haben. Bei der Lesewelt und rein litterarisch ist er heute vergessen, wie sein wehmüthiges packendes Lied „Ich weiß“ vorausahnt.



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