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Êðèòèêà
Der Trompeter von Säkkingen 2. Stück
Traulich in der warmen Stube
Saßen bei der Abendmahlzeit
Der Trompeter und der Pfarrherr;
Auf der Schüssel hatte dampfend
Ein gebraten Huhn gepranget,
Doch getilgt war’s und entschwunden;
Nur ein würz’ger Bratenduft noch
Schwebte lieblich durch die Stube,
Gleich dem Liede, drin der tote
Sänger bei der Nachwelt fortlebt.
Auch die leeren Teller zeigten,
Daß ein ganz gesunder Hunger
Kürzlich hier beschwichtigt ward.
Großen Steinkrug jetzt erhub der
Pfarrherr, und er füllt die Gläser
Und begann zum Gast zu sprechen:
»Nach vollbrachtem Mahle ziemt sich’s,
Daß der Wirt den Gastfreund frage:
Wer er sei? woher der Männer?
Wo die Heimat und die Eltern?
Im Homerus las ich, daß der
König der Phäaken selber
So den edlen Dulder fragte;
Und ich hoff’, daß Ihr nicht minder
Schöne Fata mir erzählet
Als Odysseus, drum behaglich
Setzt Euch auf die Bank des warmen
Kachelofens, dieser ist ein
Brütnest trefflicher Gedanken,
Ist auch nach Schwarzwälder Brauch der
Ehrensitz für den Erzähler,
Und ich hör’ Euch zu mit Spannung.
An den Stürmen wilder Jugend
Freut sich das gesetzte Alter.«
Sprach der Jüngling: »Leider bin ich
Kein geprüfter Dulder, hab’ auch
Weder Ilium verwüstet,
Noch den Polyphem geblendet,
Und noch wen’ger hab’ ich eine
Königstochter je getroffen,
Die bei Anlaß großer Wäsche
Huldvoll meiner sich erbarmt hätt’.
Gern doch folg’ ich Eurer Mahnung.«
Auf des ries’gen Ofens Bänklein
Setzt’ er sich, es war belegt mit
Platten von glasiertem Tone,
Ihm entstrahlt anmut’ge Wärme.
Und der Pfarrherr winkt ihm, daß er
Sonder Scheu die Füße strecke.
Dies zwar tat er nicht, doch schlürft’ er
Einen Schluck des roten Weines
Und begann drauf zu erzählen:
»Der hier sitzt, heißt Werner Kirchhof,
In der Pfalz ist meine Heimat,
In der Pfalz, zu Heidelberg.
›Alt Heidelberg, du feine,
Du Stadt an Ehren reich,
Am Neckar und am Rheine
Kein’ andre kommt dir gleich.
Stadt fröhlicher Gesellen,
An Weisheit schwer und Wein,
Klar ziehn des Stromes Wellen,
Blauäuglein blitzen drein.
Und kommt aus lindem Süden
Der Frühling übers Land,
So webt er dir aus Blüten
Ein schimmernd Brautgewand.
Auch mir stehst du geschrieben
Ins Herz gleich einer Braut,
Es klingt wie junges Lieben
Dein Name mir so traut.
Und stechen mich die Dornen,
Und wird mir’s drauß zu kahl,
Geb’ ich dem Roß die Spornen
Und reit’ ins Neckartal.‹
Dort am Neckar hab’ den süßen
Traum der Kindheit ich geträumt,
Bin auch in der Schul’ gesessen,
Hab’ Latein gelernt und Griechisch,
Und ein immerdurst’ger Spielmann
Lehrt’ mich früh Trompete blasen.
Wie ich achtzehn Jahr geworden,
Sprach der Vormund: ›Junger Werner,
Seid begabt mit hellem Kopf und
Leidlichem Ingenium,
Seid vom rechten Holz geschnitten,
Ihr müßt ein Juriste werden,
Das bringt Ehr’ und Amt und Würden,
Bringt auch güldene Dukaten,
Und mir ist, ich seh’ Euch schon als
Seiner Kurfürstlichen Gnaden
Wohlbestallten Amtmann, und ich
Zieh dann selbst vor Euch den Hut ab.
Ja, schier wag’ ich die Vermutung,
So Ihr Euch nur wacker haltet,
Wartet Eurer noch ein Stuhl im
Hohen Reichsgericht zu Wetzlar.‹
Also ward ich ein Juriste,
Kaufte mir ein großes Tintfaß,
Kauft’ mir eine Ledermappe
Und ein schweres Corpus Juris
Und saß eifrig in dem Hörsaal,
Wo mit mumiengelbem Antlitz
Samuel Brunnquell, der Professor,
Uns das römische Recht doziert’.
Römisch Recht, gedenk’ ich deiner,
Liegt’s wie Alpdruck auf dem Herzen,
Liegt’s wie Mühlstein mir im Magen,
Ist der Kopf wie brettvernagelt!
Ein Geflunker mußt’ ich hören,
Wie sie einst auf röm’schem Forum
Kläffend miteinander zankten,
Wie Herr Gajus dies behauptet
Und Herr Ulpianus jenes,
Wie dann Spätre drein gepfuschet,
Bis der Kaiser Justinianus,
Er, der Pfuscher allergrößter,
All’ mit einem Fußtritt heimschickt.
Und ich wollt’ oft töricht fragen:
›Sind verdammt wir immerdar, den
Großen Knochen zu benagen,
Den als Abfall ihres Mahles
Uns die Römer hingeworfen?
Soll nicht auch der deutschen Erde
Eignen Rechtes Blum’ entsprossen,
Waldesduftig, schlicht, kein üppig
Wuchernd Schlinggewächs des Südens?
Traurig Los der Epigonen!
Müssen sitzen, müssen schwitzen,
Hin und her die Fäden zerren
Eines wüstverschlungnen Knäuels,
Gibt’s kein Schwert und andre Lösung? –‹
Oftmals nächtig bei der Lampe
Saß ich brütend ob dem Kodex,
Las die Gloss’ und den Cujacius,
Bis mich Kopf und Haupthaar schmerzten.
Doch der Fleiß blieb ohne Segen.
Lustig flogen die Gedanken
Von den Lettern in die Weite
Zu des strengen Herrn Cujacius
Schöner Tochter, die dereinstmals
Glücklicher Pariser Jugend
Vom Katheder ihres Vaters
Hefte süß melodisch vortrug.
Statt Usucapion und Erbrecht,
Statt Novella hundertachtzehn
Schaut ein schwarzgelocktes Mägdlein
Grüßend aus dem Corpus Juris.
Aus der Hand entfiel die Feder,
Umgestülpt ward Tint’ und Sandfaß,
Und ich griff nach der Trompete;
Usucapion und Erbrecht
Und Novella hundertachtzehn,
Klagend im Adagio zogen
Sie hinaus aus der Studierstub’
Fenster in die die Sternennacht.
Ja, der Fleiß blieb ohne Segen.
Eines schönen Morgens schritt ich,
Unterm Arm das Corpus Juris,
(’s war die schöne Elzevirsche
Rotterdamer Prachtausgabe)
Nach der Heugass’, nach dem Pfandhaus.
Levi Ben Machol, der schnöde
Jude mit den scheelen Augen
Nahm’s in seine Vaterarme, –
Nahm’s und zahlte zwei Dublonen:
Mög’s von ihm ein andrer lösen!
Bin ein kecker Bursch dann worden,
Streifte viel durch Berg und Täler,
Streifte nächtlich durch die Straßen
Sporenklirrend, serenadend,
Und so einer schief wollt’ blicken,
Fuhr die Hand mir an die Wehre:
›Zur Mensur! Die Klingen bindet!
Los! –‹ Das schwirrte durch die Lüfte,
Und auf manche glatte Wange
Hat mein Schläger flott und schneidig
Sich ein Stammbuchblatt geschrieben.
Hab’ mich auch, ich muß gestehen,
Nicht stets in sehr feingewählter
Companey herumgetrieben,
Und am liebsten saß ich trinkend
Oben im Pfalzgrafenschlosse
Bei dem Wunder unsrer Tage,
Bei dem Kunstwerk deutschen Denkens,
Bei dem Heidelberger Faß.
Ein ehrwürd’ger Siedler hauste
Dort, es war des Kurfürsts Hofnarr,
War mein alter Freund Perkêo.
Der hatt’ aus des Lebens Stürmen
Zu kontemplativer Trinkung
Sich hieher zurückgezogen,
Und der Keller war Asyl ihm.
Lebte drin in sinn’ger Pflege
Seiner und des großen Fasses,
Und er liebt’ es – treure Liebe
Nimmer hat die Welt gesehen, –
’s war, als sei er ihm vermählet.
Blank fegt er’s mit großem Besen,
Fort jagt er die bösen Spinnen,
Stund ein Festtag im Kalender,
Schmückt’ er’s zart mit Efeukränzen,
Und er sang den Morgengruß und
Sang das Schlummerlied dem Fasse,
Schnitzte auch sein eigen Standbild
Treu in Holz als Angebind’ ihm.
Aber wenn vom Fassesmunde
Er den Lohn sich küssend schlürfte,
Dann erging er sich in kühnem
Schwunge; – oft zu seinen Füßen
Lauscht’ und den seltsamen Reden:
›Oben heißt’s: ich sei ein Narre,
Laß sie’s schwatzen, lieber Junge,
Nimmer kümmert das Geschwatz mich.
O, die Welt ist dumm geworden!
Wie sie tappen, wie sie haschen
Nach der Wahrheit, – und es fährt doch
Immer ihre Stang’ im Nebel.
Auf die Gründe aller Dinge
Muß der Mensch zurückgehn und er
Muß der Forschung Endergebnis
In konkrete Formen bringen.
So gewinnt er Weltanschauung;
Solchen Zweck erstrebend trink’ ich.
Kosmogonisch ist mein Trinken:
Seh’ den Weltenraum als eine
Luftig große Kellerwölbung,
Drin als Ur- und als Zentralfaß
Ist die Sonne aufgepflanzet
Und in Reih’ und Glied die kleinern
Fässer – Fixstern’ und Planeten.
Wie die Fässer mannigfache
Sort’ und Qualität des Weines,
Bergen die Weltkörper einen
Vielgestuften Geisterinhalt:
Landwein der, – der Rüdesheimer;
Doch das Erdfaß birgt Gemischtes:
Gärende Zersetzung hat den
Geist getrübt halb, halb verflüchtigt.
Der Materie und des Geistes
Gegensatz wird durch das Denken
Zu organisch höh’rer Einheit.
Also über Wein und Fasse
Schwebt mein schöpferisches Trinken,
Und wenn durch den Schädel mir des
Weins Revelationen brausen,
Wenn mein morscher Leichnam taumelnd
An dem Fasse niedersinkt:
Das ist der Triumph des Geistes,
Ist die Tat der Selbstbefreiung
Aus des Daseins nicht’gen Schranken.
So erschließt in meiner Klause
Klar sich mir die Weltenordnung.
Anders stünd’ es um die Menschheit,
Hätten die Germanen ihren
Innersten Beruf erkannt und
Das Panier des stillen Trunkes,
Den bewußten Kult des Weines –
Wie den Feuerdienst der Perser –
Durch die ganze Welt getragen!‹
O Perkêo! besser stünd’ es
Auch mit mir, wenn deiner Weisheit
Niemals ich mein Ohr geliehen!
’s war ein scharfer Wintermorgen.
Drunten in dem lauen Keller
Hielt der Zwerg und ich, selbander,
Einen philosoph’schen Frühtrunk.
Aber wie im Mittagsscheine
Ich heraustrat, schien die Welt mir
Etwas seltsam anzuschauen.
Rosig schimmerten die Lüfte,
Engel hört’ ich musizieren.
Auf dem hohen Schloßbalkone
Stand im Kreise edler Fräulein
Huldvoll die Gebieterin,
Die Kurfürstin Leonore.
Dorthin flog mein keckes Auge,
Dorthin flog mein keckes Sinnen,
Weggeweht war der Verstand mir.
Schmachtend trat ich zur Terrasse
Und begann die tolle Weise,
Die der Pfalzgraf Friedrich einstmals
Der engländischen Gemahlin
Liebeskrank gesungen hat:
›Ich kniee vor Euch als getreuer Vasall,
Pfalzgräfin, schönste der Frauen!
Befehlet, so streit’ ich mit Kaiser und Reich,
Befehlet, so will ich für Euch, für Euch
Die Welt in Fetzen zerhauen.
Ich hol’ Euch vom Himmel die Sonn’ und den Mond,
Pfalzgräfin, schönste der Frauen!
Ich hol’ Euch die Sterne sonder Zahl,
Wie Fröschlein sollt Ihr die funkelnden all
Gespießt am Degen erschauen.
Befehlet, so werd’ ich für Euch zum Narr,
Pfalzgräfin, schönste der Frauen!
Ja, Narre bin ich schon sonder Befehl,
Das Sonn’licht blendet mich allzu hell
Von Euren zwo Augen, den blauen.‹
Hört ihr die Trompeten blasen?
Hört ihr die Kartaunen krachen?
Dort bei Prag am Weißenberge
Wird um Böhmens Kron’ gewürfelt,
Pfalzgraf – ’s war ein kurzer Winter,
Pfalzgraf – hast die Schlacht verloren!
Sporn den Gaul und such das Weite!
O du schönste aller Frauen,
Wie mußt’ ich vom Traum erwachen!
Der Pedell kam angeschritten
Und zitiert mich vor den Rektor.
Grimmig faltete die Stirne,
Grimmig schüttelte die Locken,
Grimmig kündete das Urteil
Der Rektor Magnificus:
›Habt ob unbefugtem Blasen
Und noch unbefugterm Singsang
In der Burg geweihtem Frieden
Stadt und Hochschul’ in drei Tagen
Zu verlassen; weitre Strafe
Ist Euch auf besondre Fürsprach’
Der Frau Fürstin nachgesehen.‹
Stadt verlassen? wie ein Traum klang’s
Und war tatsächliche Wahrheit.
Doch bezahlt’ ich, was in solchen
Fällen etwas ungewöhnlich,
Vorher noch die Schulden alle,
Und ich ritt am dritten Tage
Aus dem Weichbild und am vierten
Aus den kurpfälzischen Landen.
Ungekränkt, ob auch die Heimat
Mir den Riegel vorgeschoben,
Will sie drum nicht minder lieben;
Die Trompet’, des Unheils Werkzeug,
Hängt’ ich fröhlich um die Schulter,
Und mir ahnt, sie soll auch wieder
Mir zum Segen fröhlich schmettern.
Weiß zwar nicht zur Stund’, nach welchem
Ziel mich Roß und Sturm noch tragen,
Doch ich schaue nicht zurück.
Frisches Herz und frisches Wagen
Kennt kein Grübeln, kennt kein Zagen,
Und dem Mut’gen hilft das Glück.
Also kam ich in den Schwarzwald.
Doch so Euch, mein edler Hauswirt,
Ob der langen Red’ nicht etwa
Jäher Schlaf hat angewandelt
Und Ihr mir mit gutem Rate
Beisteht, bin ich Euch verbunden.«
Lächelnd stieß der alte Pfarrherr
Mit ihm an und lächelnd sprach er:
»’s ist noch gnädig abgegangen,
Und ich weiß ein ander Lied von
Einem jung jung Zimmergesellen,
Einer schönen Frau Markgräfin
Und von einem hohen Galgen.
Fast scheint guter Rat hier teuer,
Und in meiner Kasuistik
Steht der Fall nicht aufgezeichnet,
Was dem Manne sei zu raten,
Der Pfalzgräfinnen ansinget,
Rechtsweisheit ins Leihhaus bringet
Und mit der Trompete kecklich
Sich die Zukunft will erblasen.
Doch wenn Menschenfürwitz stillsteht,
Helfen gnädig die im Himmel.
Drunten in der reichen Waldstadt,
In Säkkingen, ist ein guter
Schutzpatron für junge Leute,
Ist der heil’ge Fridolinus.
Morgen ist des Heil’gen Festtag.
Der hat keinen noch verlassen,
Der um Hilf’ ihn bittend anging:
Wendet Euch an Fridolinum!«
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